Corona machte vieles zunichte. Kein Sport, keine Kultur und keine Reisen. Letzteres galt auch für Tiere. In diesem Fall für drei Luchskinder, die von der Anholter Schweiz im März nach Polen reisen sollten. Der tierische Nachwuchs sollte dort ausgewildert werden. Die Corona-Pandemie mit der damit verbundenen Grenzschließung machte die Akton unmöglich. Heute nun gab es einen neuen Versuch. Aber auch dabei ging nicht alles glatt.
Die drei Jungtiere, zwei Mädchen und ein Junge, kamen im Mai des vergangenen Jahres zur Welt. Alle drei entwickelte sich prächtig und sollten im März nach Polen gebracht und dort ausgewildert werden. Heute wurde ein neuer Anlauf unternommen. Alles war für die Aktion vorbereitet. Nur das Wetter spielte nicht mit, es regnete ununterbrochen. Und das sollte im Verlauf der nächsten Stunden noch eine wichtige Rolle spielen. Ein polnisches Team war schon am Vortag an der Anholter Schweiz eingetroffen. Im Gepäck auch drei hölzerne Transportboxen.
Gegen 8:30 Uhr standen Tierärztin Anne Brömmling, Ranger Christian Boland und ein polnisches Teammitglied mit Blasrohren bereit, die drei Luchse zu narkotisieren. Um die Tiere so dicht wie möglich an den Zaun zu locken, hatte Tierpflegerin Patty Bijlsma Leckereien für die Luchse mitgebracht. Zwei Tiere näherten sich dann auch dem Zaun bis auf ganz wenige Meter. Dann ging alles ganz schnell – Zwei Blasrohrschützen, zwei Treffer und dann auch zwei betäubte Luchskinder. Die beiden narkotisierten Tiere wurden dann auch schnell in die bereitstehenden Transportkisten gelegt.
Luchse sind nun mal auch Katzen. Und Katzen sind oftmals auch wasserscheu. So hielt das dritte Luchskind nichts davon, sich dem starken Regen auszusetzen und den Lockungen der Leckereien zu folgen. Es blieb daher nichts anderes übrig, als das Tier innerhalb des Geheges in eine Ecke zu drängen, um es dann zu betäuben. Nach ungefähr einer halben Stunde gelang es auch relativ leicht, da sich das Tier durch das dichte Unterholz in die Luchshütte flüchtete. Dachten alle. Neben dem Luchsnachwuchs befanden sich auch noch die Elterntiere im Gehege. Der Nachwuchs ist jetzt etwa so groß, wie ihre Mutter. Äußerlich also kaum zu unterscheiden. Nun sind ja alle Tiere in dem Gehege gechipt und somit auch identifizierbar.
Am Gesicht von Tierärztin Anne Brömmling konnte man schon sehen, dass irgendwas nicht stimmte. „Es ist die Mutter“, stellte sie aufgrund der Chipnummer fest. Luchs-Junior war also noch irgendwo im Gehege unterwegs, während die Mutter fälschlicherweise vom Betäubungspfeil außer Gefecht gesetzt wurde. Und nun? Aleksandra Smaga vom polnischen Team, Anne Brömmling, Christian Boland und die Tierpflegerin steckten die Köpfe zusammen, um zu beraten, wie nun weiter verfahren werden soll. Sie kamen zu dem Entschluss, den noch frei laufenden Luchs im Gehege zu belassen. „Wir sind in zwei Wochen ohnehin wieder in der näheren Umgebung, da können wir dann auch bis hierher kommen“, erklärte Aleksandra Smaga. So kam man überein, nicht nur das Tier, sondern auch die Transportkiste für Luchs-Junior in der Anholter Schweiz zu belassen. Sollte ein glücklicher Umstand dazu führen, dass die Narkotisierung des Tieres auch schon früher möglich ist, wäre Christian Boland bereit, „einen Ausflug nach Polen zu machen“.
Ziel des Projektes ist es, den Luchs in seinem früheren Verbreitungsgebiet im Nordwesten Polens wieder anzusiedeln und geeignete Bedingungen für die Entwicklung der Population sicherzustellen. Das Projekt wird von der Westpommerschen Natur-Gesellschaft zusammen mit dem Institut für Säugetierbiologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Białowieża und dem Kulturzentrum in Mirosławiec durchgeführt.
Fotos: Frithjof Nowakewitz